Gesänge vom Überleben
Tine Rahel Völcker
Zwölf Jahre nach dem zweiten Weltkrieg kehrt Ivan Hacker dahin zurück wo er, ein Jurist aus Ungarn, während der Nazi-Zeit Zwangsarbeit leisten musste. Wo früher das Konzentrationslager war, ist jetzt eine Kleingartenkolonie. Nichts erinnert mehr an die Opfer des Nazi-Regimes, die mit ihrer Arbeit in Rüstungsunternehmen die Kriegsfähigkeit der deutschen Wehrmacht am Laufen hielten. Und niemand hier will vom ehemaligen Lager gewusst haben.
In ihrem für das Staatstheater Augsburg geschriebenen Stück erschafft Tine Rahel Völcker einen vielstimmigen Chor aus den unzähligen nach Augsburg und Umgebung Deportierten: Sie kamen aus Polen, der Ukraine, Italien und Ungarn, sie waren jüdisch oder Sinti, sie waren Kinder, jugendlich oder erwachsen. Die Autorin nennt sie beim Namen und gibt den weithin Ungehörten ihre Stimmen zurück. Einer unter ihnen Jakob Bamberger. 1938 und 1939 noch deutscher Vizemeister im Boxen, landet er drei Jahre später im KZ.
Dem dröhnenden Volksempfänger, der die gleichgeschalteten Gartenzwerge antreibt, steht der klackernde Rhythmus der Holzpantinen der zur Zwangsarbeit Verurteilten entgegen. Begleitet werden ihre Gesänge vom Überleben vom Chor der Neugeborenen. Sie stellen sich dem Schweigen der Elterngeneration entgegen und kämpfen doch auch Zeit ihres Lebens um eine Herkunft, ihre Geschichte.
Nach Kriegsende sind Überlebende wie Nachkommende mit dem totalen Vergessen in der BRD konfrontiert. Vergeblich kämpft Jakob Bamberger um Wiedergutmachung.
Eindringlich zeichnet "Gesänge vom Überleben" Kontinuitäten rassistischen, antiziganistischen und antisemitischen Denkens bis heute nach.