rua. Kooperative für Text und Regie
Kooperative für Text und Regie

Mazlum Nergiz

Mazlum Nergiz
© Max Zerrahn

Vita

Mazlum Nergiz, 1991 in Diyarbakır/Türkei geboren, schreibt Theaterstücke, Prosa und Essays. Er studierte Kulturanthropologie, Komparatistik und Medienkunst in Berlin und Weimar. 2021 hat er den Masterstudiengang "DAS Theatre" der Amsterdam University of the Arts absolviert. 2021 gewann er das Hans-Gratzer-Stipendium vom Schauspielhaus Wien für sein Stück COMA. Im April 2022 hat er gemeinsam mit Juan Miranda die Stückentwicklung The Sense of Belonging mit 13 Jugendlichen am Schauspiel Hannover zur Uraufführung gebracht. Dort entwickelte er auch Neubearbeitungen für Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe und Das Fest von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov. 2023 verfasste er das Drehbuch für den spanisch-französischen Kurzfilm Ce qui doit arriver, arrivera. Im Herbst 2023 erschien im MÄRZ-Verlag eine Adaption von COMA als Comic in Zusammenarbeit mit Leonie Ott.
Mit Enis Maci hat er bereits an den Buchkollaborationen Ein faszinierender Plan (Spector Books) und FILAMENTOUS MAGIC CARPETS (MÄRZ) zusammengearbeitet. An der Volksbühne Berlin hatte ihr gemeinsames Stück KARL MAY im Dezember 2023 Premiere.
Seit der Spielzeit 2023/2024 ist Mazlum Nergiz Teil der Künstlerischen Leitung am Schauspielhaus Wien. 2024 wurden dort seine Stücke 1000 EYES in der Regie von Sahar Rahim und AM FLUSS in der Regie von Christiane Pohle uraufgeführt.

Texte

Asma ist verschwunden. Sie hat allen erzählt, sie wäre nach Paris gefahren, um dort ihren Abschlussfilm über die Ermordung der drei kurdischen Widerstandskämpferinnen Sakine Cansiz, Fidan Doğan und Leyla Söylemez zu drehen. Diese wurden am 9. Januar 2013 in den Vereinsräumen des Centre d'information du Kurdistan in der Rue Lafayette erschossen. Der Täter: Ein Agent des türkischen Geheimdienstes. Doch Asma ist nicht zurückgekehrt. Was ist geschehen? Familie, Freunde und Bekannte beginnen zu spekulieren. Im Internet tauchen Bilder auf. Fremde gesellen sich dazu. Hat Asma sich etwa dem kurdischen Widerstand angeschlossen? Ist sie zu einem şehîd, einer Märtyrerin, geworden, zu denen kurdische Freiheitskämpfer:innen werden, wenn sie im Kampf sterben?

"1000 Eyes" ist ein Stück über Abwesenheit und Radikalität. Es sprechen die untröstlichen Hinterbliebenen von Asma und zahlreiche schlaflose Gaffer, die versuchen zu verstehen, warum man das Leben leben sollte, in das man geworfen wird. Oder auch nicht. Was bleibt, ist die Leerstelle, die ein Mensch hinterlässt und die alle mit ihren Bildern zu füllen versuchen.
Diese Lücke, mit der die Figuren umgehen müssen, ist das Ergebnis einer globalen politischen Konfliktzone, in die sich immer mehr junge Menschen in Europa unter Einsatz ihres Lebens einmischen. Wie umgehen mit dem Schock, den die Entscheidung – in den Krieg zu ziehen – hinterlässt? Aufgebaut wie das Auge einer Libelle, setzen sich die Szenen zu einem emotional aufwühlenden Mosaik zusammen. Dabei schreitet "1000 Eyes" den schmalen Grat zwischen verklärender Mythologie und widerständiger Emanzipation des kurdischen Widerstandskampfes ab. Ein Wirbelsturm der Perspektiven.

Ein namenloses Wir stromert am Ufer eines Flusses entlang. Gaffer und Mönch zugleich nimmt es hellsichtig die Geister der Vergangenheit wahr: Diese treiben im und am Fluss entlang, sickern ins Sediment oder die rissigen Betonwände der verlassenen Werft. Zu den Geistern gesellen sich Männer, die sich hier zum Sex treffen und finden, wie beispielsweise Dan und Christopher. Das Wir horcht und spürt auf, flüstert und schreit, bezeugt und verwebt ihre Geschichte mit der Stimme des Arztes, dessen verbrannte Bücher als glühende Asche noch immer im Fluss treiben, dem Fall der Künstlerin, die ihre Freiheit im Sturz aus dem 34. Stockwerk findet und der Akte des rastlosen Architekten, der die verlassenen Gebäude am Fluss aufschneidet.

AM FLUSS verwebt Geschichten von verschwindenden und wiederkehrenden Körpern; Körpern, die nach Freiheit und Verbindung suchten. Und immer noch suchen, den Mund nur einen Zentimeter über der Wasseroberfläche haltend. Kann das Verschwinden, das Vergessen eine Form der Verbindung sein? "Das Stück durchschreitet das letzte Jahrhundert von der Weimarer Republik bis zur Aids-Krise der späten 1980er und 1990er Jahre aus der Perspektive eines nomadischen Gewässers. Dabei verbindet es in die nur scheinbar weit voneinander entfernten Biografien von Personen, die es gab, mit Ereignissen, die stattfanden. Immer klarer wird die vielschichtige Kraft, die diese Stimmen versammelt: Gewalt. Epochen, Umbrüche, Schwellen, Zusammenhänge fließen ineinander wie die Nebenarme eines Flusses. AM FLUSS handelt von der permanenten Anwesenheit der Geschichte in unserer Gegenwart." (Mazlum Nergiz)


Ein Mann erfährt vom tödlichen Motorradunfall seines Bruders. Kurz darauf trennt er sich von seinem Partner und fliegt ins Ausland. Er ist eingeladen, auf einem Literaturfestival einen Vortrag über autobiografische Täuschungen zu halten. In der fremden Metropole angekommen, trifft er in einem Darkroom auf Miller, der ihn in die Cruising-Spots der Metropole einführt: hinein in den verwilderten Skulpturenpark, in eine verlassene Autowaschanlage und den letzten Wagon der rosa U-Bahnlinie. Eine atemlose Libertinage zwischen diesen Orten größtmöglicher Intimität und Anonymität und dem kargen Gästezimmer des Erzählers nimmt seinen Lauf. Eine heillose Odyssee zwischen Traum und Wirklichkeit, Rausch, Ekstase, verschwenderischer Zärtlichkeit und roher Gewalt. Mit einer an Selbstauslöschung grenzenden Entschlossenheit versucht der Mann sich zu häuten wie ein Falter, seine Vergangenheit abzustreifen. Doch das Echo der Gewalt und Trauer verfolgt ihn überall hin. Ein intimer, hypnotischer Trip durch Seele und Körper eines Getriebenen.

Mazlum Nergiz wurde für COMA mit dem Hans-Gratzer-Stipendium 2021 ausgezeichnet. Basierend auf dem Theaterstück gibt es eine Graphic Novel im MÄRZ Verlag, illustriert von Leonie Ott:
https://www.maerzverlag.de/shop/buecher/literatur/koma/

Regie

Extras

KARL MAY
von Enis Maci und Mazlum Nergiz
Volksbühne Berlin
Premiere: 16.12.2024