Alex ist einigermaßen jung, zielstrebig und kurz davor die beste Kinderärztin ihres Krankenhauses zu werden. Lara Twiggs ist schön, gut gelaunt, ihre Followerzahlen steigen täglich und auch eine ungewollte Schwangerschaft hindert sie nicht an ihrem Erfolg. Alex ist der Star ihrer Familie, ein Engel in Weiß – zumindest für ihre neugierige Tante. Lara präsentiert ihren supersweeten Babybauch und Designer-Kindermöbel für ihren kleinen Schatz – zumindest Online. Doch die Idee eines Lebens wie in Grey`s Anatomy und die weichgezeichnete Onlinewelt geraten ins Wanken, als sich die Welten der beiden Frauen plötzlich ungewollt überschneiden. Denn hinter der glaubwürdigen Kittel-Fassade steckt ein erbarmungsloser von Keimen und Tod geprägter Klinikalltag und hinter der heilen Marketingwelt der Insta-Storys und YouTube-Tutorials die STIMMEN DES INTERNETS und die stetigen Entwicklungs-/Überschreibungs-/Rückkopplungs-/Feedback-/Überarbeitungs-/Think-Tank-/Brainstorming-/Korrekturprozesse.
Natalie Baudy

Vita
Natalie Baudy wurde 1990 in der Nähe von Augsburg geboren und ist in Ulm aufgewachsen. Seit 2018 arbeitet sie als Autorin und Dramaturgin im Theater- und Performancebereich. Mit ihrem Stück "Rauschen. Oder: Wenn du nicht existierst, geh mir bitte aus dem Licht. Danke." gewann sie den Chemnitzer Theaterpreis für junge Dramatik 2019. 2021 war sie Stipendiatin im Hans-Gratzer Programm des Schauspielhaus Wien. 2023 war sie mit ihrem Text "fairycoin", einem märchenhaften Episodenstück über Kryptowährung, Stipendiatin im Drama Lab der Wiener Wortstätten, wo ihr Stück für die Inszenierung am Theater Kosmos Bregenz ausgewählt wurde. In ihrer Arbeit interessiert sie sich für popkulturelle Ästhetiken, digitale Phänomene und feministische Perspektiven. Seit 2021 schreibt und entwickelt sie mit dem Regisseur David Moser Projekte, wie zuletzt die Uraufführungen ihrer Stücke "L3ONCE und L3N4 - esc esc esc!" am Stadttheater Ingolstadt und "Sky is der Himmel" am schauspiel erlangen. Seit der Spielzeit 2024/25 ist sie Teil der Künstlerischen Leitung des schauspiel erlangen. Natalie Baudy lebt in Erlangen und Berlin.
Texte
SATOSHI NAKAMOTO, Migräniker und Erfinder der Kryptowährung Bitcoin ist auf den Mond geflohen. Manchmal ist er genervt von den Typen, die nach seiner Identität und seinem Erbe greifen, dann wieder erklärt er in bester Mansplaining-Manier die Welt und seine Kreation, manchmal fühlt er sich aber auch einfach nur einsam. Unten auf der Erde ist währenddessen eine katzenhaft-ambitionierte JOURNALISTIN unterwegs, die das Geheimnis des Krypto-Hypes entschlüsseln will. Bei ihrer Recherche stößt sie auf viele sonderbare Glückssucher:innen wie bspw. DEN MIT DEM VERLORENEN PASSWORT. Oder die ELEGANTE DROGENDEALERIN, die in einem Haus aus Zartbitterschokolade lebt. Oder das isländische Fischerpärchen ILSE und OLAFUR. Olafur schenkt aber keinem Fisch, der behauptet ein Prinz zu sein, sein Leben, sondern er überlässt einem PRINZEN, der Butt heißt, seine Powerbank. Als Dank erhält er vom Prinzen einen Megageheimtipp, den er sofort umsetzt. Er beginnt seinen und Ilses Besitz zu verscherbeln, um im großen Stil Coins zu schürfen.
Und wie sich das gehört in der Welt eines (Krypto)-Märchens: Transformation is key. CARL und FRANÇOIS, echte Brüder und passionierte Tech Bros verwandeln sich nachdem ihre Tradingplattform gecrasht ist kurzerhand in Frösche. Als solche versuchen sie aber nicht unwillige Prinzessinnen zu küssen, sondern überzeugen bspw. ALTE KUNDINNEN in fairycoins zu investieren. Ihre Vision: Teilhabe und Reichtum für alle.
Aus bettelarm wird superreich bis die große Flut kommt und sie alle mitnimmt. Zumindest fast: Die Journalistin und ihre Schwester, die KÜNSTLERIN, die mal eben das Urheberrecht revolutioniert, fliegen erst mal mit einem echten Bären in den Urlaub.
Ein rasant-digitales Märchen für jede analoge Bühne.
Als die 15jährige Iphigenie, dem Brief ihres Vaters Agamemnons folgend, in der Küstenstadt Aulis ankommt, bietet sich ihr ein furchtbarer Anblick: Die Felder verdorrt, das Meer eine stinkende Brühe, das vormals ruhmreiche Heer ein Haufen müder Krieger:innen.
On top kommt der perfide Plan von Vater und Onkel: Iphigenie, Role Model ihrer Generation, soll zur Besänftigung der Göttin Artemis geopfert werden. Nur warum? Damit alles so bleibt wie immer? Damit Vater und Onkel weiter in sinnlosen Kriegen kämpfen? Zwischen kriegstreibendem Patriarchat, Social Media Pressure und eines erhitzen Planeten hin- und her geworfen, begreift Iphigenie, dass ihr ihr Bild und wofür sie stehen wollte, längst aus der Hand genommen wurde. Während die Herrscherfamilie in Streitigkeiten versinkt und das Volk den Anfang vom Ende des als unendlich versprochenen Wirtschaftswachstums zu spüren bekommt, beschließt Iphigenie sich aus freien Stücken zu opfern.
LET THEM EAT IHIGENIE fragt zweierlei: Ob die Menschheit immer noch Held:innen braucht, wenn sie vor allem eine Funktion haben: nämlich die patriarchale und kapitalistische Gesellschaft zu sichern. Und ob wir selbst zu Iphigenie werden sollten?
Vier junge Bot:innen im Gefolge der Iphigenie spielen in dieser Überschreibung alle Rollen und fragen nach der Verantwortung einer jüngeren Generation für die ignoranten Taten ihrer Eltern.
Leonce und Lena sollen heiraten, haben aber beide keine Lust dazu und beschließen abzuhauen. Soweit so bekannt. Darüber hinaus hält die poetische Überschreibung von Natalie Baudy und David Moser viele neue Features bereit: Der Papa von Lena lässt sich mit Herr Königin ansprechen und hat die Hochzeitsfeier der zwei Königskinder ins Metaverse verlegt. Warum das aussieht wie eine stinknormale Theaterbühne? Vielleicht weil digital und real sich ineinander auflösen, wie auch die vielen Zitate aus dem Original von Büchner mit der Neuadaption auf wundersame Weise korrelieren. Valerio, Leonce und Lena beschließen jedenfalls angesichts der realpolitischen Dauerkrisen die Flucht nach innen. Zusammen mit Büchner wird daraus: „Italien-innen“: ein Ort der nicht Italien ist, aber sich wie Italien anfühlt. Draußen tobt der Klimawandel, im Netz landen die beiden irgendwann in der Ödnis des Quellcodes. Doch jeder Absturz beinhaltet auch die Möglichkeit eines radikalen Neuanfangs. Mit einer Hochzeit zu dritt überwinden Leonce, Lena und Valerio nicht nur Klassenunterschiede, sondern überschreiben die heteronormative Liebe mit den Möglichkeiten der zärtlichen Freundschaft. Sich den Herausforderungen der Welt gemeinsam zu stellen, könnte auch Spaß machen.
Oertel, Ruk und Al Tee landen auf der Erde oder nein, anders: Peng – sie sind einfach da. Während Oertel und Ruk in einem merkwürdigen Gebäude mit siebenundzwanzig identischen Zimmern und einem scheinbar endlosen Flur landen, verschlägt es Al-Tee in eine politisch engagierte Wohngemeinschaft, die gegen TTIP auf die Straße geht, Müll trennt und grundsätzlich findet, dass man einfach mehr zu sich selber finden muss. Aber wenn plötzlich so ein Außerirdischer in der Küche sitzt, gerät die eigene Wahrnehmung doch etwas ins Wanken. Man wird unsicher, ob das befremdliche Gegenüber exisistiert. Aber man möchte ja auch nicht unhöflich sein.
Oertel und Ruk haben mittlerweile herausgefunden, dass das Gebäude mit den vielen Zimmern ein Hotel ist und die permanent betrunkene Frau, in deren Zimmer sie sind, eine erfolgreiche Pornoproduzentin ist. Welch eine Fügung, denkt sich die Dame, Außerirdische in der Pornoindustrie! Das steigert Einzigartigkeit, Marktwert und Auflage. Und sie engagiert Oertel und Ruk vom Fleck weg – ob sie wollen oder nicht.
In der WG haben sich Tom und Ebu mittlerweile auch an Al Tee gewöhnt. Dass er Isomatten isst und gerne ungefragt Menschen umarmt – nun ja, das eine ist nicht so schlimm, das andere sogar schön, weiß man doch, dass zu wenig Körperkontakt zu Depressionen führt. So leben sie zusammen, die Irdischen und die Außerirdischen. Bis irgendwann die Außerirdischen Heimweh bekommen und zurück möchten. Zu merkwürdig scheint ihnen das irdische Treiben. Aber wie zurück?
Natalie Baudy hat ein mutig skurriles, humorvolles und zugleich bissig-böses Stück geschrieben. Ohne moralischen Zeigefinger setzt sie Außerirdische – die fernsten Fremden aller Fremden als Spiegel vor unsere Nasen, um die großen und kleinen Zivilisationskrankheiten unserer Tage sichtbar zu machen. Durch den Einbruch des Fremden werden Ansichten, Meinungen, Vorurteile, Gewohnheiten unserer ansonsten doch so aufgeklärten Gesellschaft befragbar, hinterfragbar, kritisierbar.
© Theater Chemnitz
Die phlegmatische Weltgesellschaft weiß nicht weiter. Und nach der "großen Enttäuschung" – als es nicht zum ultimativen Krieg kam – nur ein großes Nichts. Es braucht dringend Euphorie und Energie. Deshalb: Werft die Reaktoren wieder an! Für einen edgy Wahlkampf, für einen Wirtschaftsaufschwung, für oder gegen oder wegen eines Kriegs?
Beuschel, Pomp und Bobby Duffy, die Wissenschaftler:innen, die gefühlt schon unzählige Jahre das Abklingen der Brennstäbe protokollieren, reagieren skeptisch auf das (Theater-)Publikum, das sie in ihrer routinierten Isolation stört. Sie fürchten Politiker:innen, Promis, Populisten und – am allerschlimmsten! – Podcaster, die sich in ihre Arbeit einmischen wollen.
Sie wollen nichts erklären – und fangen doch an. Aber wie lässt sich Komplexität vermitteln, ohne sie zu banalisieren? Und wie schützt man sich vor Opportunismus und Größenwahn?
THE SKY IS DER HIMMEL ist ein nachdenkliches, hochaktuelles Stück über Wissensvermittlung und Verantwortung, über die Verlockung der Technokratie. Es handelt von der faszinierenden Schönheit und dem finsteren Schrecken der größten Kraft im Universum. Eine ebenso kluge wie absurde Verhandlung der modernen prometheischen Versuchung mit offenem Ausgang.
Eve und Rila wollen Urlaub machen. Endlich mal entspannen, am Pool liegen, Schwarzwälderkirschtorte frühstücken und die letzte Krise ihrer Beziehung verarbeiten. Doch plötzlich taucht Magda, Rilas Schwester, auf. Was sie will? Eigentlich nur mit Rila über ihre gemeinsame Mutter sprechen, sie dazu bewegen sich als Teil der Familie zu betrachten und fürsorglich einzubringen.
Doch nicht nur die drei Frauen bemühen sich möglichst wenig Konfliktherde ausbrechen zu lassen. Auch den Räumen des zugegeben seltsam verlassenen Hotels liegt daran, alle möglichst friedvoll und entspannt zu sehen. Pool, Frühstücksraum und Lobby wissen schließlich wie man jemanden umsorgt und verwöhnt. Sie kannten die Besitzerin des Hotels, genau wie das gesamte Hotelpersonal – die alle plötzlich verschwunden sind.
Der Wellness-Urlaub wird zu einem Balanceakt aus Vergangenem, Gegenwärtigem und der Frage wohin das alles eigentlich führen kann: Was heißt es als Frau Verantwortung zu übernehmen? Ist der Austausch über Bedürfnisse und Gefühle emanzipatorisch oder entspringt er einem veralteten Anspruch fraulicher Fürsorge? Was heißt es eigentlich eine Lobby zu sein? Oder ein Pool? Eine Schwester oder eine Mutter?
Und da wird dann klar, hinter jedem Frühstücksbuffet, hinter jedem Pärchenausflug und hinter jeder noch so banalen Situation steckt das Potential einer Bewegung: „man trifft sich, sieht sich, verändert einander und geht."
Extras
THE SKY IS DER HIMMEL
von Natalie Baudy und David Moser
schauspiel erlangen
Premiere: 29.03.2025