Hakan Savaş Mican, 1978 in Berlin geboren und in der Türkei aufgewachsen, zog 1997 zurück nach Berlin und machte dort 2004 sein Diplom in Architektur. Danach studierte er Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 2008 arbeitet er am Theater. Er inszenierte zahlreiche eigene Stücke, Klassiker und Romanadaptionen u.a. am Ballhaus Naunynstraße, Staatstheater Mainz, Thalia Theater Hamburg, und Theater Oberhausen. Seit 2013 ist er Hausregisseur am Maxim Gorki Theater Berlin.
SIE WOLLEN DEN TEXT LESEN? ZUR TEXTBESTELLUNG GEHT ES HIER.
Morgengrauen. Can steht gedankenverloren vor der JVA Tegel. Angelehnt an sein Auto, ein Mercedes 230E, Baujahr 1982 - es ist so alt wie er - raucht er: Das ist also alles, was von seinem erfolgreichen Geschäftsleben übrig geblieben ist. Er, das Kind von Arbeitereltern aus Kreuzberg, hat mit Fälschungen von Designerkleidung und Markenuhren das große Geld gemacht. Und jetzt muss er den Preis dafür zahlen. Aber dafür ist er nicht der Typ. Statt fünf Jahre ins Gefängnis zu gehen, will er nach Istanbul fliegen. Für immer. BERLIN ORANIENPLATZ erzählt vom letzten Tag eines jungen Mannes in Berlin, der die Menschen und Orte besucht, die er bei dem Versuch seiner Herkunft zu entkommen, verlassen und vergessen hat. Die mittlerweile arbeitslosen Eltern, seine Jugendliebe, die jetzt mit einem anderen Freund von damals ein Kind und eine Eigentumswohnung hat, ein Kindheitsfreund, der einen erfolgreichen Jazzclub betreibt, eine Hinterhofmoschee – Can will sich still von seinem Berlin verabschieden, das ihn zu dem gemacht hat, der er ist. Aber langsam merkt er, dass die Stadt, die er zurücklassen will, eine andere geworden ist als das Berlin in seinen Erinnerungen. Die Bilder der Vergangenheit machen ihm eines klar, so wie in einem Gedicht von Kavafis: Egal wo du hingehst, diese Stadt wird mit dir kommen!
1990 ff. Mauern fallen, Systeme gehen kaputt, Grenzen werden neu gezogen und ein Junge aus Neukölln verliebt sich in ein Mädchen aus Marzahn. Cem’s Mutter Esma, eine Fabrikarbeiterin, hat große Pläne mit ihrem Sohn. Er soll es im Leben einmal besser haben als sie. Gaby, ein ehemaliger Opernstar der DDR, will dass ihre Enkelin Lisa an den größten Opernhäusern der Welt singt. In Gabys Traum kommt eine Liebesgeschichte mit einem „Mohammedaner“ nicht vor. So nehmen also Lisa und Cem ihre eigene Lebensfahrt auf, in einer besonderen Stadt und zu einer Zeit, die vieles möglich macht und in der sich vieles entscheiden wird. Die Liebe wächst, doch ihre Protagonist*innen auch. Lisa und Cem müssen sich neu orientieren, lösen sich von Familientraditionen und suchen für ihre Träume Anschluss an ein komplett neues System. Nach einer Dekade wird das Leben und seine Zwänge sie an einen Punkt gebracht haben, an dem es kein Miteinander mehr gibt.
Der dritte Teil von Hakan Savas Micans Stadt-Trilogie „Berlin Karl-Marx-Platz“ ist ein Singspiel über das Verschwinden der Arbeiter*innenklasse und eine Liebeserklärung an viele verloren gegangene Träume der 90er in Berlin.
Adem steht auf einem Treppenabsatz. Rechts wohnt die israelische Akademikerin Moria, seine Nachbarin und Freundin zugleich. Sie sind eines dieser Paare, das wie geplant in drei Tagen in eine gemeinsame Wohnung ziehen, Kinder kriegen und eine Familie gründen wird, oder aber jede Sekunde sich trennen könnte. Links wartet seine Mutter Meryem auf ihn. Ihr Sohn, der sie liebt und verachtet, ihre Rente und das zahllos angesammelte Geschirr im Keller, das sie jetzt mitnehmen will, sind ihre letzten Verbindungen nach Deutschland. Sie besucht ihn ein letztes Mal um endlich wiedergutzumachen, dass sie ihn als Kind in der Türkei »geparkt« hat. Adem wüsste gerne, wo er klingeln soll. Bei einer Vergangenheit, die er am liebsten auslöschen will oder bei einer Zukunft, die ihm panische Angst macht.
Hakan Savaş Mican erzählt in BERLIN KLEISTPARK den Versuch einer Liebe frei von familiären Wunden und die Suche einer unentschlossenen Generation nach Vertrauen.
WOLLEN SIE DEN TEXT LESEN? ZUR TEXTBESTELLUNG GEHT ES HIER.
Auf der Suche nach dem eigenen Platz in einem Land auf das alle Hoffnung gesetzt und diese dann schneller als gedacht wieder zum Platzen gebracht wurde, kämpfen sich Fatma und ihr Sohn Dinçer durch die unnachgiebigen deutschen Verhältnisse. In einem ewigen Wechsel von Fürsorge und Abwehr blickt "Unser Deutschlandmärchen" von Dinçer Güçyeter auf die Herausforderungen der beiden Protagonist*innen in Beruf, Alltag und vor allem im Zwischeneinander. In der Fassung von Regisseur Hakan Savaş Mican wird diese Familiengeschichte als eine komische und emotionale Reise durch Sehnsüchte, Schicksalsschläge und natürlich die Liebe erzählt.
Dem Gorki-Hausregisseur Mican ist "eine Roman-Adaption geglückt, die den Stoff (…) mehrwertstiftend vom epischen ins dramatische Genre übersetzt und überhaupt ziemlich großartig ist." (Christine Wahl im Tagesspiegel am 07.04.2024)
Text & Regie: HAKAN SAVAŞ MICAN UA: 11.12.2021, Maxim Gorki Theater Berlin
Die Raffinesse der berührenden Inszenierung liegt unter anderem darin, die Einsamkeit der Mutter, die Fremdheit ihres Sohnes nicht zu verkitschen, sondern genau, ratlos und nüchtern zu zeichnen und mit trockener Komik auszubalancieren. Sichtbar wird das lebenslängliche Echo der Kindheit von Arbeitsmigranten, die überfordert versuchen, sich in der Fremde zurecht zu finden.
nach Erich Maria Remarque Premiere: 11.01.2019, Maxim Gorki Theater Berlin
Der Begriff Adaption trifft es auch nicht richtig, Überschreibung passt viel besser für das, was Mican mit und aus Remarques Migrations-Roman "Die Nacht von Lissabon" zaubert. Der Kern der Geschichte bleibt in der Inszenierung erhalten: das Schicksal eines Liebespaars, das während des Zweiten Weltkriegs über die Schweiz, Frankreich und Spanien nach Lissabon flieht, die letzte rettende Passage nach Amerika aber nicht antritt. Der Stoff passt bestens ans Maxim Gorki Theater, wo regelmäßig Migrationserfahrungen untersucht werden. Und Mican reichert ihn weiter an mit großen und kleinen Gefühlen, mit allgemeinen Ängsten und Selbstbefragungs-Momenten, eigenen biographischen Anekdoten, die abschweifen und wundersam doch zur Remarque-Geschichte zurückfinden.
Mican legt zwei Zeitfolien über jene Lissabonner Nacht: Als Prolog zeigt er ein paar Sekunden aus Wim Wenders’ Film "Lisbon Story" von 1994, in dem euphorisch von einem vielsprachigen Heimatland Europa, das Kriege satt hat, die Rede ist. Und kaum ein Vierteljahrhundert später hat der Regisseur zusammen mit dem Videokünstler Benjamin Krieg die Remarque’schen Spielorte abgereist: In Lissabon machen heute monströse Kreuzfahrtschiffe Station, am Strand von Dünkirchen sieht man verlorene Kite-Surfer zwischen Bunkern, und aus Paris bringt der Regisseur eine große Enttäuschung mit: Ihm zeigt sich die Stadt der Liebe als ein aufgerissenes Feld der Aggressionen, auf dem Samy Amimour, ein Busfahrer mit algerischen Wurzeln aus dem Pariser Vorort Drancy, 90 Menschen im Nachtklub Bataclan erschoss.
Die Inszenierung Micans – die toll ist, so viel sei vorweggenommen – findet dabei auf zwei Ebenen statt: Auf einer ersten Erzählebene wird der Remarque’sche Stoff nah am Original vonden beiden Hauptdarsteller_innen Schaad und Anastasia Gubareva (Helen) erzählt. Auf der zweiten wird berichtet, wie sich Hakan Savaş Mican in der Gegenwart mit den Sujets aus "Die Nacht von Lissabon" auseinandersetzt: Er reist über Dünkirchen und Paris nach Lissabon, reflektiert dabei über seine eigene Biografie und über das, was ihm auf der Fahrt begegnet. Schaad, der zwischendurch auch den Bruder Georg verkörpert, schlüpft dafür immer wieder in die Moderatorenrolle und erzählt im Plauderton vonHakans Recherche und dessen Tagebucheintragungen. Zeitweilig kommt das fast in Stand-up-Comedy-Manier rüber, zum Beispiel, wenn er berichtet, wie Hakan sich mit Themen seiner eigenen Geschichte (bzw. seiner zuweilen auch fingierten eigenen Geschichte) beschäftigt – etwa mit ritueller Beschneidung, auch mit seinem Verhältnis zu den Kurden als Sohn türkischer Eltern vonder Schwarzmeerküste. Auf seinem Weg nach Lissabon bereist Hakan ein sozial zutiefst gespaltenes Europa.