Anah Filou aka Effe U Knust aka Nikita Gin, geboren 1989, lebt in Wien. Hat Philosophie und Kunstwissenschaft in Linz und Szenisches Schreiben in Graz studiert. War an der Akademie der Bildenden Künste Wien in der Klasse für Performative Kunst und Teilnehmerin unter anderem an: Schreibklasse am Schauspielhaus Wien, Interplay Europe in Schweden, Summer School Südtirol, Frankfurter Autor*innenforum für Kinder- und Jugendtheater, 4+1 am Schauspiel Leipzig. Veröffentlichungen in Lichtungen, Bella Triste, Politisch Schreiben und anderen. Mit "Am Hafen mit Vogel" (Uraufführung 2019 am Hessischen Landestheater Marburg, Regie: Carola Unser) nominiert für den Kinderstücke-Preis der Mülheimer Theatertage 2020.
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Nanina fliegt. Zum ersten Mal. Und hat jetzt einen Pass. Auf den soll sie gut achtgeben, er darf nicht zerdrückt werden und sie soll ihn "mehr so vorsichtig halten", sagt ihr Papa. Gemeinsam wollen sie Naninas nach Zimt und Koriander riechende Oma besuchen: über sieben oder acht oder neun Länder hinweg. Im Flughafen dann heißt es aber erst mal warten: in der sogenannten Transitzone, oder Tanzzitrone oder Dransidone oder Hans Melone oder Gans mit ohne? Wer weiß das schon? An diesem Ort jedenfalls trifft Nanina auf Dodo. Die stellt sich vor als Kosmopolitin beziehungsweise Kosmospilotin und hat viele Ideen. Aber im Gegensatz zu Nanina keinen Pass: Man hat Dodo eine Flugunfähigkeit attestiert und jetzt steckt sie fest, in diesem an alle Länder und doch an keines angrenzenden Durchgangsort. Aber was ist das überhaupt: Länder und Grenzen und Fahnen, die etwas markieren, verorten, ausweisen.
Dodo hat einen Traum: Als Kapitanska Dodo fliegt sie mit Luft und Liebe und ganz ohne Kerosin auf 11 Kilometer Höhe. Wirft einen Konfettiregen aus Pässen auf die Erde und verwischt die Fahnen und Grenzen, die Welt wird eins. Denn jetzt mal Hand aufs Herz: Wer hat schon mal ein Rotkehlchen bei der Passkontrolle gesehen?
Das Stück und die Inszenierung sind im Rahmen von "Nah dran! Neue Stücke für das Kindertheater", ein Kooperationsprojekt des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland und des Deutschen Literaturfonds e.V. mit Mitteln der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert worden.
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Der Mensch wäre gerne ein unbeschriebenes Blatt und stellt sich die Welt üblicherweise als Landkarte vor. Denn die kann so schön eingeteilt, aufgeteilt, zerteilt werden und auf der können Europa und Levante spazieren, als wäre nie etwas gewesen. Das Genre der Zombieapokalypse wird so logischerweise systemrelevant und der Schneehase weiß sowieso von nix. Sie auch nicht? Aber das ist doch ganz einfach: das kleine ABC der Markwirtschaft! „Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt“.
Und dann wird aus der Epidemie eine Pandemie, wird die Infektion historisch, Konsum bedeutend und die Kluft unangemessener Verteilung fast unaushaltbar. Und was mach die Kunst? Sie versucht den Moment festzuhalten, denn Kunst in den Zeiten der Seuche ist, dass das Ende ab jetzt vorstellbar bleibt.
Was immer schon da ist: Eine blütenweiße Blutspur. Denn das T-Shirt besteht nun mal aus tawainesischen Stoffballen beziehungsweise dem Garn aus der Türkei oder vorher der Baumwolle Virginias. Klar, Europa trägt immer noch flauschigen Pelz, während Levante im Pyjama bleibt, aber der Schneehase weiß jetzt doch was: Weißheit ist Weisheit und alles was nicht weiß ist, tritt erst auf, wenn die weise Weißheit es will. Vor dem (Fernseh)-Schirm, sind wir alle gleich. Vor dem Rettungsschirm allerdings nicht. Quarantäne ist nicht gleich Quarantäne und vielleicht ist die Landkarte doch ganz schön löcherig? Ach ja, haben Sie es untenrum bequem?
3 Spielerinnen UA: 07.10.2021, Theater am Lend, Regie: Anja M. Wohlfahrt
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"Ich esse meine Suppe nicht, meine Suppe ess ich nicht", sprach der Suppenkaspar und hungerte sich zu Tode. Auch die übersatten Kindeskinder aus dem blutigen Stück FLEISCHWADE verweigern die Nahrungsaufnahme. Zum Verdruss der Oma, die weiß nämlich noch, dass sich während des Krieges die Leute bloß für eine Suppe erschlagen haben. Aber jetzt ist ja schon lange Frieden und es gibt alles im Überfluss, oder -druss? Warum steigt denn der kleine Prinz eines Nachts in sein Auto und fährt schnurstracks gegen den nächsten Baum "und so kam das Loch in die Welt". Fortan atmet die Familie viel: ein und aus, aus und wieder ein. Zum Glück birgt auch eine Welt mit Loch Möglichkeiten für Loch-Menschen alias Frauen alias die Schwestern des Prinzen: Studieren in der Hauptstadt bspw. oder einen Orchideengarten anlegen oder sich reproduzieren oder ein Drehbuch schreiben. Einen Hund halten und dicker und dicker oder aber verrückt werden gehört auch zum Repertoire. Da kann Frau Doktorin Sommer mit Hilfe ihrer Familienaufstellung "auf die Plätze fertig los" rufen so oft sie will: die Plätze sind vergeben, der Knoten der Familienbande eine Festung, die weit in die braune Vergangenheit hineinreicht. Egal ob königlich oder bäuerlich, egal wie viele einverleibte Schnitzerl, wie viel Berghänge auf unterschiedlichsten Gerätschaften hinabgebraust: die Familie ist eine Familie ist ein Höllenschlund, ein schrecklich-grausamer Ort der Liebe, in dem alle sich gegenseitig zu entkommen trachten, dem aber keine*r je entronnen ist:
Eine Frage zwischendurch: Fahren Menschen in der Nacht gegen Bäume weil eine Familie irgendwie ist oder ist eine Familie irgendwie weil jemand gegen einen Baum gefahren in der Nacht. 6 Spieler*innen und ein Kinderchor frei zur UA
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Kennen Sie das Piratische Zusammengehörigkeitsgefühl? Nein? Das könnte daran liegen, dass all die Geschichten der Piratinnen auf hoher See mit Korsetts zugeschnürt sind. Also wir müssen uns das mit der Piraterie so vorstellen: Am Anfang war die Welt. Planet Erde. Und das Internet. Urviel Platz. Real und digital. Aber irgendwann haben die Menschen angefangen, die Erde unter sich aufzuteilen. Dann war das nicht mehr "die Welt", dann wars "das Eigentum" und die Abenteuer-Film-Industrie und der Freibeuter Captain Jonathan Barnet. Und die bestimmten wer die Hosen anhat und so viel beweglicher ist. Doch die Jolly Roger Crew bricht auf. Auf der Rainbow Warrior, dem ehemaligen Flaggschiff der Umweltschutz-NGO-Greenpeace-Flotte, geht es los. Zu einer Mission, bei der stilvoll radikal Wale gerettet werden und das System gestürzt wird. Und wenn einmal jemand einen Arm verliert, oder ein Bein, oder ein Auge, sowas kann ja vorkommen, das hat auch etwas mit Piraterie zu tun, dann springt die piratische Kranken-, Unfall- und Pensions-Vorsorge ein. Schließlich geht es hier immer noch um das Piratische Zusammengehörigkeitsgefühl and don't let boys be mean to you. Ich mag dich, magst du mich zufällig auch?
Prinzessin Laika hat Mut, Neugierde und Liebe im Gepäck, Captain Cosmo Ultra einen Kirschkern und Lightcommander Stella Cadente einen Schal. Weil frieren ist keine Option, egal wo und Kirschen schmecken über-All. Dann kann es also los gehen. Los! Wohin? Ins All! Aber irgendwas hakt? Liegt das eventuell an der Anschnallgurt-Zurückschnalzfeder? Und was ist das überhaupt? Oder braucht es einfach nur einen waschechten Countdown? Oder hat jemand Angst und will vielleicht doch besser hier bleiben? Oder einfach mal was wagen: Freiheit in Verbundenheit, gemeinsam und jede:r für sich. Ab ins All und von vorne anfangen! Ein wenig eng ist es ja schon in der Rakete, aber das All ja dafür dann um so größer, ja: Gigantisch! Und mit dem Weltraumschrott-Wolken-Staubsaugungsgerät im Nu auch wieder blitzeblank: "Achtung Anfang los zehn neun acht sieben und so weiter drei zwei eins Startwort Stern."
Am 6. Februar 2018 schickte SpaceX ein kirschrotes Tesla-Cabrio aus dem Privatbesitz des Gründers Elon Musk ins All. Seither zieht ein Auto – oder was davon noch übrig ist – Ellipsen im Weltraum. Ausgehend von diesem surrealen Bild starteten das Ensemble und die Autorin Anah Filou gedanklich ins Universum. Im Gepäck die Sehnsucht nach dem Fliegen sowie viele aktuelle Fragen, die in diesen Zeiten durch den Raum schweben. So ist ein Stück entstanden, das Menschen ab 7 Jahren mit durch eine neue, vielleicht kirschrote Galaxie nimmt.
Das Stück entstand in Zusammenarbeit mit den Schauspielenden Anna Bernstein, Nicolas Bertholet und Sabine Merzinger, der Regisseurin Stephanie Rolser, der Ausstatterin Dorota Wünsch, dem Musiker Andreas Braun, der Dramaturgin Mirka Borchardt und dem Regieassistenten Janek Drechsler.
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Da war Eis oben. Eis oben? Die Katze erinnert sich nicht mehr genau, was der Nachbar, der Detektiv, letzte Nacht über die Entdeckung der Gletschermumie Ötzi erzählt hat. Sie war im Schoß ihrer Freundin, der Schauspielerin, eingeschlafen und hatte von einem super süßen Schokokuchen mit viel Eis oben geträumt. Sie mag es, mit der Schauspielerin viel Quatsch zu machen. Quatsch liebt sie wie Schokokuchen mit Eis oben. Wenn der schrullige Nachbar, der Detektiv, an seiner experimentellen Archäologie sitzt, etwas von Kupferbeil und Klimawandel in seinen Bart murmelt, versteht die Katze manchmal nur Miau! Sie sitzt darum viel lieber mit den Kindern im Theater, bewundert ihre Freundin, die Schauspielerin, wie sie im Licht der Scheinwerfer wundersame Geschichten über die Menschen erzählt. Eines Tages wandern die Schauspielerin, die Katze und der Nachbar, der Detektiv, hoch bis zum Gletscher, bis zum Eis oben am Berg, dorthin, wo Ötzi mehrere tausend Jahre lag.
3 Spieler*innen UA: 20.11.2021, Vereinigte Bühnen Bozen, Regie: Joachim Goller
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Die Regie ist in der Krise. Das Theater ist in der Krise. Die Wirklichkeit ist in der Krise. Das politische Handeln ist in der Krise. Die Repräsentation ist in der Krise. Der Authentifizierungsausweis ist in der Krise. Die Deutsche Bahn ist, Sie erahnen es –
ist Magie! HERR WUTTKE will nach Wien und jemanden anrühren, also belehren, also inspirieren. ICH SELBST will nach Istanbul und hat viele Anliegen. Zum Beispiel theatrale Ermächtigungspolitik und Versammlungszusammenhangsbesetzungspolitik. ANNA will nach Andorra la Vella und untersucht die Heraufkommens-, Verhältnis- und also die aktuelle Zusammenhangsoption. Sie begegnen sich an einem Bahnhof am Bodensee und Chemnitz, in einer Kuranstalt in Chur und schließlich im Bahnhof im Theater im Schwanhof. Sie diskutieren über Authentifizierung, Verantwortung, politisches Theater und fragen sich: "Wie geht Gemeinschaft"? Was sind Voraussetzungen des Handelns? Welche Zusammenhänge stecken im Menschen, was ist Kapital? Und welchen Auftrag gibt die vernetzte Welt? Es wird klar: Der Übergang vom einen zum anderen war: schleichend. Ein Kontinuum von Bewegung und Bewegungslosigkeit. Na dann, ab in die Diskursdusche und "Gute Nacht und viel Glück".
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Land genommen, Frau genommen, Körper genommen
Was passiert, wenn sich koloniale Verblendungen, stereotype Vorurteile und hierarchische Festlegungen aus ihrem historisch gewachsenen Fundament in das Gegenwärtige transformieren? In den 90ern ein Höhenflug: Die Liebe zwischen einem britischen Kolonialherren und der Native-American-Schönheit. Captain Smith trifft Pocahontas und ihre Liebe scheint alle Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen, scheint in unendlicher Philanthropie alles Schlechte aus dem Weg zu räumen - Menschlichkeit gewinnt immer. So zumindest im Disney-Liebes-Wunderland. Doch was steckt hinter der vergoldeten Überlieferung von Pocahontas? Da wird aus der Liebesgeschichte ein perfides Machtspiel in dem nicht nur das Land als bespielbare Fläche betrachtet wird, sondern auch der Mensch, im speziellen die Frau zu einem Objekt, das einem radikalen Werturteil ausgesetzt ist. Der Monolog WEISSER RAUCH. POCAHONTAS IM VIRGINIA-MEGASTORE setzt die realen Beziehungen von John Smith, Pocahontas und ihrem Mann, dem Tabakhändler John Rolf in ein neues Licht und beschreibt so Strukturen der modernen Verkaufs- und Entertainmentgesellschaft. Kolonialismus ist die Geschichte mächtiger Männer und ihrer bewahrenden Überlegenheit. Vergänglich ist davon rein gar nichts, alles schreibt sich fort – auch wenn Trauerweiden sprechen können, Peggy Lee die Liebe besingt und diese Geschichten Kinosäle füllen. Was bleibt ist die Unterdrückung, 1607, 1995 und jetzt und es ist höchste Zeit für ein "Comeback das die Comebacks beendet."
1 Spielerin UA: 21.10.2019, Koproduktion Theater Drachengasse Wien und 3000THEATER, Regie: Anna Laner
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Rückwärts durch das Souterrain tanzt Una auf mich zu. Rückwärts auf mich zu und wenn du fällst, dann fang ich dich, dann fang ich dich schon noch, gefangen, gefangen, sie lacht. Sie fällt sie mir in meine Arme, manchmal hab ich gar nicht so viel Arme als ich fangen mag.
Una und Alix sind BFF. Seit sieben Jahren zusammen im Souterrain, streiten sie nie, mögen dasselbe Beistelltischchen, räumen zusammen die Spülmaschine aus und neben der Waschmaschine stapeln sich die Weinflaschen. Doch dann zieht Una aus, und Alix sich zurück und was bleibt ist die plötzliche Wand, die den Kreislauf aus Abhängigkeiten erst deutlich macht. Da werden die zuvor lustigen Rollenspiele zwischen den Beiden zur Bestandsprobe ihres Miteinanders und ihrer gemeinsamen Zeit, in der nichts zerbrechen und alles bleiben soll. Doch diesem verschmolzenen Kreislauf steht der bedingungslose Wunsch nach einem Leben fernab der gesetzten Familiennormative gegenüber, in dem die Ambivalenz von erdrückender Nähe und bedingunsloser Freundinnenschaft deutlich wird. Und so stehen sich Una und Alix gegenüber – mal im Dialog, mal im Monolog, teilweise in märchenhaften Allegorien - die Eine will das eigene, etwas nur für sich, die andere will die Dinge wie sie sind und am Ende wird klar: "Schwesterchen ich will dich nicht verlieren".
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Selina und Hellmut leben auf der Alm. Ohne Nachbarn, dafür mit einem seit neuestem immer wieder dort auftauchendem Tiger und in einer salzlosen Situation, die das alltägliche Leben in Aufruhr bringt. Er ist Salinen-Salzbergwerk-Angestellter in Salzstätten im Halitkammergut, sie eine ernährungswissenschaftlich gebildete Person und uriniert als Gegenmaßnahme zum Salzmangel in das Gekochte. Salzentzug ist schließlich ungesund. Im Bergwerk selbst besprechen die (Geheim-) Expert*innen Wirsing, Wikipedia, Wirrer und Wolke das weitere Vorgehen, die Verteilung und Vorzüge einzelner Salzgewinnungsmethoden. Außerdem fragen sich 100 Wiener Sängerknaben wie das Salz eigentlich auf die Erde kam, nach seiner Verschwendung, Verschenkung und Verausgabung.
Salz ist Natriumchlorid, ein Naturprodukt und unvergänglich. Salz hat Einfluss. In die Wirtschaft und auf Subjekte. Da wird der Salzstreuer zur phallischen Kulturleistung und entscheidet über eine Portionierung, die Lebensgrundlagen für diese Erde schafft, denn die ist schließlich "the most very important planet on earth".
6 Spieler*innen, 99 Matrosenanzugskinder, ein Tiger frei zur UA