rua. Kooperative für Text und Regie
Kooperative für Text und Regie

Ariane von Graffenried

Ariane  von Graffenried
© Alexander Jaquemet

Vita

www.avgraffenried.ch

Ariane von Graffenried ist Autorin und promovierte Theaterwissenschaftlerin, schreibt für die Bühne, fürs Radio, Zeitungen und die Wissenschaft. Sie ist Mitglied der preisgekrönten Autor*innengruppe Bern ist überall. Seit 2005 tritt sie als Spoken-Word-Performerin mit dem Musiker und Klangkünstler Robert Aeberhard im Duo Fitzgerald & Rimini auf. 2017 erschien das Buch Babylon Park (2017), für das sie den Literaturpreis des Kantons Bern erhielt.

Im Herbst 2025 erscheint die LP «Ennetlands» von Fitzgerald & Rimini im Verlag Der gesunde Menschenversand. Darauf erklingt die Stimme einer Meerjungfrau unhörbar in einem kalifornischen Wasserpark, ein Gletscher singt ein Abschiedslied, ein heimatloser Geist aus der Bronzezeit gleitet in einem alten Mercedes durch den Wald, eine Mutter durchs All.

Texte

Im Stall stehen Esel und Ross: Donkey der Schotte –weil sein Fell so gemustert ist wie ein Schottenrock – und das Pferd, das sich Rosi nannte, weil sein Herr doch glatt seinen Namen vergessen hat. Sein Herr heißt Herr Ritter und ist ein pensionierter Lehrer und passionierter Leser von Ritterromanen. Seit er viel vergisst und vieles verwechselt, sorgt Sancha Pančić, eine unfreiwillig Weitgereiste mit einer weitverzweigten Verwandtschaft, für ihn. Doch Herrn Ritters Tochter Antonia traut Frau Pančić nicht und will ihren Vater in eine Seniorenresidenz geben. Als dann auch noch eine Politikerin in Herrn Ritters Garten Windräder aufstellen lassen will, nehmen Herr Ritter und Frau Pančić Reißaus. Donkey und Rosi tun es ihnen gleich und die Schicksalsgemeinschaft macht sich auf die Suche nach Herrn Ritters Katze Dulcinea. Eine Raststätte wird zur Burg, Kinder zu gefangenen Zwergen, eine Schafherde zu einem Kriegsgetümmel, ein Unwetter zu einem feuerspeienden Drache und Windräder zu gefährlichen Riesen. Ein aus einem Käfig befreiter Löwe hingegen erweist sich als harmloser Popcornverkäufer. In die Geschichte des berühmten Ritters von der traurigen Gestalt webt das Berner Autor:innenduo aktuelle Themen wie Alter, Migration und saubere Energie mit ein.

"Donkey der Schotte und das Pferd, das sich Rosie nannte" ist ein Stück über Freundschaft und Zusammenhalt, eine Abenteuerreise auf dem Rücken eines Esels und eines Pferdes, die sich sehr mochten.

Was haben ein Schweinebauer, eine Hellseherin, ein Faxenmacher, eine Brokerin aus Beijing, eine Consultant in der Nahrungsergänzungsmittel-Branche, ein Architekturtheoretiker und ein IT-Troll gemeinsam? Sie sind Heimatsuchende und Aussteiger zugleich, glauben an ihre kleine Gemeinschaft in Schilda und an ein kühles Getränk in der Kneipe.

Vor drei Jahrzehnten ist Schilda abgebrannt. Nach und nach kehrten die Schildbürger oder ihre Kinder zurück. Ihr Rückzug aus der Welt der Mächtigen und des Kapitals ist endgültig und hat Methode. Standhaft weigern sie sich, aus Schaden klug zu werden und je dümmer sie sich stellen, desto freier fühlen sie sich: Sie versalzen ihren Acker, versenken ihre Glocke im See und bauen ein Rathaus ohne Fenster. Sie sind die neuen Verfechter der Blödheit als Weg der Erkenntnis. Konvention gilt ihnen nur etwas, wenn sie selber draufgekommen sind, ihr politisches System basiert auf dem reinen Dogma der Unvernunft und der Zugehörigkeit.

Die Neuadaption der um 1600 verfassten Sammlung von Erzählungen, den Schildbürgerstreichen, des Berner Autor:innenduos implementiert Themen des heutigen Europas von Heimat, Abschottung und Ausgrenzung in den wundersamen selbstgezimmerten Bunker des Schabernacks. Der ihm zugrundeliegende Eigensinn ist damals wie heute brandgefährlich.

Lucias Oma stirbt. Ihre Eltern, die im Ausland in der Fabrik und auf dem Bau arbeiten, bringen die Zehnjährige samt Stoffbär Teddy und Puppe Betty im Kofferraum über die Grenze. Nach Finsterland. Weil Lucias Aufenthalt dort illegal ist, lebt sie fortan versteckt in der abgedunkelten Wohnung. Sich nurmehr auf Zehenspitzen bewegend, kennt sie bald jedes Geräusch im Haus: vom bröckelnden Putz bis zum rülpsenden Baby. Sie wird zur alleinigen "Herrscherin von Finsterland". Doch eines Tages hat sie genug. Auf der Suche nach Licht öffnet sie das Fenster und lässt prompt Betty fallen. Herr Herbster, der Nachbar, der schon länger ahnt, dass in der Wohnung gegenüber irgendetwas nicht stimmt, bringt ihr die Puppe zurück. Eine wortlose Freundschaft entwickelt sich zwischen dem einsamen Kauz und dem lebenshungrigen Mädchen. Zu Lucias Pech ist Herr Herbster aber von Beruf Beamter bei der Fremdenpolizei iund irgendwann tut er, was er schon immer getan und immer tun wird: die Gesetze seines Landes befolgen.

Ariane von Graffenried und Martin Bieri erzählen aus der Perspektive eines Kindes ein finsteres Märchen über die unmenschlichen Bedingungen, denen die Saisonarbeiterfamilien in der Schweiz in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ausgesetzt waren.