rua. Kooperative für Text und Regie
Kooperative für Text und Regie

Juliane Hendes

Juliane Hendes
© Oliver Look

Vita

Juliane Hendes wurde in Rostock geboren, studierte an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig und arbeitet seit 2016 als freischaffende Dramaturgin und Autorin. Für das Düsseldorfer Schauspielhaus schrieb sie u.a. "Eva und Adam" (2018), eine Befragung überkommener Rollenbilder von Mann und Frau in drei Saunagängen. Mit "Blick zurück nach vorn" (2020) "deckt sie (...) mindestens so viel über die Nazi-Vergangenheit von netten Düsseldorfer Mitbürgern auf wie über die Strategien, mit denen diese Vergangenheit in der Nachkriegszeit unter Verschluss gehalten wurde." (Franz Wille, in: Theater heute 3/2020).

Als Autorin ist sie der freien Gruppe Pièrre.Vers assoziiert. Als Mitglied des Kollektivs Raum + Zeit erarbeitet sie 2021 gemeinsam mit Bernhard Mikeska und Lothar Kittstein an den Münchner Kammerspielen "Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer". Im selben Jahr wurde sie mit dem Förderpreis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet.

In der Spielzeit 2025/26 schreibt sie zwei Auftragsstücke: "Späti Paradies" für die Neue Bühne Senftenberg in der Regie von Elina Finkel und "Kulturhaus, mon amour" in der Regie von Jacob Weiss für das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin. Außerdem führt sie erstmalig selbst Regie am Theater Lüneburg bei "Anfang - kein Ende", ein Rechercheprojekt zum ersten Bergen-Belsen-Prozess und dem letzten großen Auschwitz-Prozess um Oskar Gröning.

Texte

Eine junge Frau erinnert sich: an die fies in die Kopfhaut einschneidenden Haarklipser nur für das Bild beim Fotografen, an die kleingroße Welt zwischen den vier Häuserblöcken, die eigentlich sicher schien, an ihre Freundinnen Susi und Linda, die ihr manchmal mit merkwürdigen Geschichten Angst einjagten, an Stefan und Karl, die ihr seltsame Namen hinterher zischelten und vor allem an den Typen, der beim Versteckspiel hinter ihr ins Gebüsch gekrochen kam. Sie versucht die Momente zu greifen, an denen Dinge unwiderruflich anders wurden. Als sie beschloss das Raufen gegen Jungs ein für alle Mal aufzuhören, als sie merkte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, aber was?
"Ich spüre Dinge in meinem Körper, die da vorher nicht waren. Etwas Fremdes hat von mir Besitz ergriffen. Etwas das ich nicht kontrollieren kann."
Anhand unterschiedlicher Situationen von Kindesbeinen bis zum Teenageralter, die immer schneller ineinander kippen, erzählt Juliane Hendes vom Ausgeliefert-Sein ans Schlachtfeld der heteronormativen Matrix: Es ist Krieg. Mein Krieg.

Diese "Hedda - so gar nicht von Ibsen", sondern von Juliane Hendes ist von Anfang an eine tickende Zeitbombe. Mit jeder Faser ihres zartgespannten Nervenkostüms weiß sie, dass sie hier nichts verloren hat: in dieser geschmacksneutralen Wohnung, an der Seite dieses geschmackssicheren Mannes. Der sie nicht erkennt, erkennen kann, weil er es nicht kennt: das Milieu der sogenannten kleinen Leute, das Aufbegehren und den rauschhaften Ausbruch aus den Fesseln der eigenen Herkunft. Und so ist diese Hedda von Anfang an eine blinde wie blindwütige Passagierin auf einem Luxusdampfer. Während es in ihrem Inneren brodelt und stürmt, weiß sie sich dennoch nach außen zu verhalten. Jede Millisekunde auf der Hut als nicht zugehörig entlarvt zu werden. Auf dem Tisch, der nicht ihr gehört, sondern Tesman wie alles in der Wohnung, ihr literarisches Debüt. Ein wütender Schrei, um sich aus dem Sumpf der eigenen Bedeutungslosigkeit zu katapultieren oder endgültig unterzugehen. Zu allem Überfluss streicht draußen ein Wolf umher: Ein gespentischer Dämon, randvoll mit Erinnerungen und Flashbacks. Hedda ahnt, weiß, spürt: Irgendwann wird er eindringen und über sie herfallen und sie wird sich ihm hingeben.
Diese "Hedda – so gar nicht von Ibsen" ist ein gnadenloser und gnadenlos-lustiger Alp-Traum, ein Hirngespinst, die Kopfgeburt einer jungen Frau zwischen Selbstoptimierungswahn und der Erkenntnis, dass positives Denken auch toxisch sein kann:

Und dann lässt du es einfach zu. Dich und die Welt.

Paula begibt sich auf Spurensuche und beginnt, sich zu erinnern. Ende der 90er/Anfang der Nullerjahre Jahre irgendwo in einem ostdeutschen Plattenbauviertel: das Deodorant "the axe" schwebt durch jedes Klassenzimmer, Ace of Base, Metallica und Jennifer Lopez singen sich Nachmittage lang durch das Programm der Musiksender, Paula tanzt mit ihrer besten Freundin Mare durch die Nächte im "Joy" – dem einzigen Club der Stadt – und Paula verliebt sich in Paul. Eine erste große Liebe. Zusammen scheint es möglich zu träumen, vom gemeinsamen Leben und davon, dass die Zukunft voll ist mit Möglichkeiten, die sie nur nutzen müssen!

Doch nicht nur die verschiedenen familiären Hintergründe drängen sich nach und nach zwischen die Gefühle der Beiden, auch die individuellen Bedürfnisse und Wünsche klaffen immer weiter auseinander. Paula, jung Mutter geworden, will studieren, will die Grenzen ihres bisherigen Lebens durchbrechen und sich einen eigenen neuen Weg bahnen. Für Paul erscheint der Blick nach vorne steinig und er fragt sich, warum immer alles neu sein muss, wenn das Alte doch auch gut ist. Er sucht Halt im Freundeskreis seines Bruders, in dem Gewalt kein Tabuthema ist.

In "LIEBE und PLATTENBAUTEN" beschreibt Juliane Hendes mit einigem Humor eine Zeit während und nach der Umbruchszeit in den 90er Jahren, die anfangs so verheißungsvoll schien, aber auch Generationen danach noch unsichere Lebenssituationen und Zweifel brachte. Zwischen Aufstiegschancen und lokalpatriotischem Stillstand erzählt sie die große Liebe zweier von der Zeit getriebener junger Menschen, setzt sich mit Klassismus und dem Aufwachsen in den 90er und Nullerjahre im geografischen Osten auseinander.

Fritzi ist Polizistin, naja oder zumindest auf dem besten Weg eine zu werden. Ihr Auftrag: Gerechtigkeit. Ihre Geschichte: nicht ganz einfach. Das Leben war eigentlich ganz schön mit Mama, Papa und Fritzi als plötzlich, BUMM!, nichts mehr ist wie sein soll. Papa zieht aus und hat von nun an diese Daisy (inklusive Babybauch) an seiner Seite und Mama geht auf Weltreise mit ihrem neuen Freund Rolf. Und was ist mit Fritzi? Die muss zu ihrem Vater und den neuen kleinen Geschwistern ziehen: neue Stadt, neue Familie, neue Mitschüler:innen und sie, natürlich ganz unten in der Klassenhierachie (Mobbing inklusive). Ihr einziges Glück: mit dreizehn bekommt sie ein Handy und im Internet sieht die Welt ganz anders aus. Da kann man nicht nur den eigenen Namen wählen, sondern auch gleich die Persönlichkeit wechseln. Schminktutorials auf youtube, Videos auf Tik Tok, aber vor allem der Chat mit Olli – eine ganze neue Welt eröffnet sich, in der Anerkennung und Coolness so viel einfacher funktionieren als im echten Leben. Und je mehr das Leben in der realen Welt zerbröckelt, desto mehr bietet Olli ihr mit seinen Nachrichten Schutz und Verständnis. Er scheint der Einzige zu sein, der Fritzi Halt gibt. Doch in beiden Welten gerät sie schließlich in einen Eskalationsstrudel. Als die Situation in der Schule endgültig aus dem Ruder läuft, gelingt es Olli Fritzi in einen Gruppenchat einzuladen, in dem sich die Abgründe des Internets auftun. Fritzi muss alles Preis geben und ausser ihr weiß niemand in welche Falle sie getappt ist. 

"Ein Bild von mir" ist das erste Klassenzimmerstück zum Thema Cybergrooming. Juliane Hendes beschreibt darin den Weg einer Teenagerin von biographischen Umbrüchen hin zur Flucht in die digitale Welt. Dort ist Cybergrooming eine der häufigsten Methoden für Übergriffe, Missbrauch und sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Die Verantwortung für Selbstschutz wird hier viel zu oft auf die Betroffenen verlagert, während Wegsehen ein allgemeines Mittel der Rechtfertigung zu sein scheint. 

 

 

Regie