rua. Kooperative für Text und Regie
Kooperative für Text und Regie

Philippe Heule

Philippe Heule
© Mali Lazell

Vita

Philippe Heule, 1986 geboren, wuchs im St. Galler Rheintal auf. Nach einem Schauspielstudium in Hamburg studierte er Theaterregie an der Zürcher Hochschule der Künste. Außerdem war er Gast im Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Er ist Begründer des Performance-Kollektivs helium x. Er schreibt, inszeniert und entwickelt Stücke in diversen Kontexten. Sein Theaterstück DIE SIMULANTEN wurde 2016 am Theater Dortmund als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen uraufgeführt. 2015/16 war er Hausautor am Theater Basel. 2018 inszenierte er am Theater St.Gallen sein Stück SPEKULANTEN. Für sein Stück DIE STUNDE, ALS WIR NICHTS VONEINANDER WISSEN WOLLTEN wurde er 2018 mit dem Else-Lasker-Schüler-Stückepreis ausgezeichnet. Für sein Stück DAS HAUS BRENNT erhielt er 2020 den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts.
2024 war Philippe Heule Stipendiat der Berliner Autor:innenwerkstatt mit seinem Prosadebüt UMLAND.

Texte

8 Milliarden buntbekleidete Menschen tummeln sich auf einem Gletscher. Als "dahinsiechendes Tier" ist er Mahnmal des Klimawandels und Vergnügungskulisse zugleich: eine im Verschwinden begriffene "Langzeitperformance". Da steigt eine:r auf, dort rutscht jemand ab, da rappelt sich eine:r hoch, dort hängt eine:r in den Seilen: Alles fließt und kippt hier ineinander: die Szenerie in die Situation, die Regieanweisung in die Figuren, das Ich ins Wir, das Wir ins Du. Nur unter die romantische Vorstellung vom ewigen Eis zieht der Text einen klaren Schlussstrich. Sie ist endgültig Schnee von gestern, dem Fortschrittswahn geopfert.
Mit surrealem Humor rückt Philippe Heule mit seinem Gletschertext dem dünner werdenden Eis der Zivilisation auf den Leib.

Michael W. arbeitet als Privatdetektiv. Qua seines Berufs ist er mit den dunklen Seiten des bürgerlichen Heldenlebens bestens vertraut. Umso mehr achtet er zuhause auf den guten Ton. Sonntags ist „Quality Time“. Statt sich dem Tatort auf dem Sofa zu ergeben, spielt die Familie nach, was der Vater bei seinen Beschattungen an Abgründigem aufdeckt. Oder aber es werden die Fernstudien der fast erwachsenen Kinder diskutiert: Tochter Sarah begeistert sich für den Kreuzfahrttourismus, Sohn Lewis für moderne Überwachungstechnologien. Mutter Celine ergreift die Gelegenheit und erzählt von ihren Fortbildungsplänen im Bereich der Reflexzonenmassage. Nach und nach wird spürbar: Familienoberhaupt Michael verliert als Ernährer an Gewicht und zunehmend die Fassung. Am 18. Geburtstag seines Sohns wird das Ausblasen der Kerzen und das dazugehörige Erinnerungsvideo zu einem Gefecht, bei dem er sich mehr und mehr zum Opfer der sich von ihm emanzipierenden Familienmitglieder geriert. Schließlich greift man auf das beliebte Rollenspiel zurück, um den Frieden wiederherzustellen. Doch die Figuren des vom Vater dargebotenen Falls sind der Familie W. zum Verwechseln ähnlich. Am Ende sind zwei Kinder von dem betrogenen Ehemann ausgelöscht, bevor er sich selbst das Leben nimmt. Nur ein harmloses Spiel, reiner Zufall oder unausweichliches Schicksal?

Eine schwarze Komödie über Macht und Männlichkeit, Verdrängung und Manipulation. Die in die Sofalandschaft versunkene Familie, das brennende Inferno auf dem Bildschirm betrachtend, wird zum Sinnbild für den allgemeinen Stillstand vor, während und nach der Katastrophe.

MASKULAND ist das Märchen eines schwulen Prinzen, der gegen unsterbliche Ideen von Männlichkeit ankämpft – Ideen, die, wie Märchen selbst, beständig weitergetragen werden.

Als Prinz (und als Mann) soll er herrschen: über Land, eine Frau, eine Familie – oder notfalls über ein Billy-Regal. Stärke ist die Voraussetzung dafür. Doch sein Körper-Schloss, das vor Angst bröckelt, eng und erstickend wie ein Gefängnis, scheint für diese Aufgabe ungeeignet.

Er versucht, sich abzuhärten, seinen Körper in den Tempeln der Maskulinität – den Fitnessstudios – nach hellenistischem Vorbild zu formen, nicht als "Sensibelchen" oder "Feigling" zu gelten. Gleichzeitig lernt er, sich für sein Begehren zu schämen und es zu verbergen – vergeblich.

In MASKULAND begleiten wir den Prinzen auf seinem Weg von Fremd- zu Selbstbestimmung, durch Trauma und toxische Beziehungen, durch gefundene und wieder verlorene Verbindungen – bis er schließlich lernt, sich selbst zu lieben.

Und da Märchen unsterbliche Ideen weitertragen, ist MASKULAND selbst ein Versuch der Aneignung – und der Beginn, neue Ideen in Umlauf zu bringen.

Philippe Heule beschreibt in seinem Text in atemlosen Bildern die Tyrannei der Gleichzeitigkeit. "The medium is the message." Die These von Jean Baudrillard ist längst Realität. Die Digitalisierung wirkt auf unsere Sinne und massiert unser gesamtes Sensorium. Krieg und Konsum werden als die zwei Seiten eines weltumspannenden Kapitalismus, der uns ohne Exit-Strategie fest im Griff hat, bespielt: Teilnehmer*innen eines Gipfeltreffens ersaufen nach der politischen Performance die eigene Ohnmacht am Tresen, politische Machthabe bemisst sich in Länge und Festigkeit des Händedrucks vor laufenden Kameras, Kriegsschauplätze gerinnen zu ununterscheidbaren Stereotypen. Einzig ein in einer Röhre gefangenes Kätzchen kann die Weltgesellschaft einen und wird daraufhin zur neuen Imageikone eines transnationalen Mischkonzerns.
Der Terror lauert hinter jedem Sofarücken und jeder Häuserflucht. "Wir haben die Werkzeuge geformt, jetzt formen sie uns": Hauptsache Live.

Da ist das Wohnzimmer von Oma und Opa. Eine zum Stammtisch umfunktionierte Garage. Ein Neubau mit Glasfront. Orte an denen Menschen aufeinandertreffen - jung, alt, arm, reich, sensibel, derb. Orte der Sicherheit, Auseinandersetzung und – der Heimat?
Der Anstandsbesuch der Enkelin, die üblichen Verdächtigen beim Feierabendrausch nebst Schlagabtausch, ein schockgefrostetes Ehepaar beim Abendessen.
Szene an Szene entfaltet sich eine Welt in der die wesentlichste Angelegenheit von Eltern das Gewicht ihres Sohnes ist und Beerdigungen zum Ringkampf um Flachbildschirme mutieren. Dem Blick aus bodentiefen Fenstern nach einem gewaltvollen Streit, folgt anderswo der heimliche Besuch eines Bordells. Randvoll mit Mousse au Chocolat, Bratwurst und Speck im Speckmantel soll der Rückgrat-Begradigungs-Umschnallgurt Ängsten und Sorgen Abhilfe leisten. Philippe Heule hat sich auf eine Recherchereise durch seine Heimat begeben und einen absurden Kosmos aus Begegnungen, sozialen Verzahnungen und Gefühlslagen geschaffen. Während unablässig geredet und Normalität behauptet wird, lauern tiefe Ängste und eiserne Ignoranz. 

Ein alptraumhaftes und sehr komisches Stück über letzte Sicherheiten: "Zu Hause ist doch aller Anfang schwer."

Regie

Die Schokoladenwaffenfabrik
von PHILIPPE HEULE und Michaela Flück
Premiere: 02.07.2021, Rote Fabrik Zürich
Die umfassende und unwiderlegbare Chronik der Ereignisse
Text & Regie
UA: 14.11.2018, Theater Basel, Monkey Bar

Der Theaterautor Philippe Heule macht in "Spekulanten" das Rheintal zur zartbitteren Revue. Ein Open-Air-Vergnügen - schrill und dezent. Es ist Volkstheater im besten Sinne: pointiert und lebensnah.

(Hansruedi Kugler, 8.9.2018, St. Galler Tagblatt)

Extras

I WANT TO BELONG (AND SING A SONG)
Ein Jugendtheaterstück
von Philippe Heule
Theater Marie, Alte Reithalle Aarau
Premiere: 13.02.2024